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Der Winter 2022/23 und das Gas - reicht es nun, oder nicht?

Seit beginn der Ukraine-Krise und dem auch in Deutschland offen ausgetragenen Konflikt mit der Russischen Föderation gibt es viele Diskussionen darüber, ob Deutschland den Winter ohne russisches Erdgas schadlos überstehen kann.
Die Bundesregierung teilt unermüdlich die hohen Füllstände der Gastanks mit und suggeriert damit eine entspannte Lage - im Gegensatz dazu nennt Bundeskanzler Scholz die Lage regelmäßig "kritisch". Was denn nun? Werden wir frieren müssen? Werden die Betriebe schließen müssen?

Da mich das hin und her auch etwas irritiert hat, habe ich mir die genauen Zahlen angesehen. Zunächst aber ein paar Tatsachen:

* Der Füllstand der deutschen Speicher liefert keine eindeutige Aussage. Die deutschen Speicher sind Teil eines EU-Verbundes und es existieren gegenseitige Lieferverträge unter den Mitgliedstaaten.
* Die deutschen Speicher sind mit ca. 245 TWh die größten in der EU - es folgen Italien (193 TWh), die Niederlande (139 TWh) und Frankreich (131 TWh)
* In Summe können in den EU-Speichern 1112 TWh gespeichert werden - aktuell sind es 907 TWh (5.09.2022)
* Deutschland muss also die anderen EU-Statten mitversorgen

Schauen wir uns nun an, wie die großen Speicher in Deutschland über das Jahr hinweg genutzt werden:

(Quelle und Copyright: Statista.com)

Die Tanks werden etwa bis Ende Oktober gefüllt, und zwischen November und Ende April geleert. Sie liefern also für fast sechs Monate die nötige Energie.
Da die deutschen und die EU-Speicher nun also zu über 80% gefüllt sind, sollte man sich keine Gedanken machen, oder etwa doch?

Schauen wir uns mal den Gasverbrauch an:
https://agsi.gie.eu/

Deutschland verbraucht im Jahr ~1000 TWh an äquivalenter Heizleistung in Form von Erdgas. Da über 80% davon in den sechs Wintermonaten anfällt, müssen im Winter etwa 800 TWh zur Verfügung stehen - alleine mit den deutschen Speichern (245 TWh) ist das also nicht zu decken, es muss kontinuierlich Gas nachkommen.

Laut der Statistik kann Deutschland 4 TWh/Tag Gas beziehen, das wären im Monat 120 TWh und in sechs Monaten 720 TWh. Aktuell bezieht Deutschland aber nur einen Bruchteil davon, nämlich 1,3 TWh/Tag - entsprechend 39 TWh/Monat oder 234 TWh in sechs Monaten.

Rechnen wir also zusammen. Wenn es bei dem aktuellen Bezug von 1,3 TWh/Tag und vollen Tanks mit 245 TWh bleibt, dann stehen uns in den Wintermonaten November-April 479TWh zur Verfügung - bei einem Bedarf von 800TWh!

Das ist eine Deckung von 60%. Es müssen also 40% eingespart werden - und das ist noch der Best-Case. Stellt Russland auch die Gaslieferungen über die Ukraine in die EU ein und wird Deutschland die anderen EU-Statten mitversorgen müssen, dann sieht es noch schlechter aus.

Ist die Lage also entspannt? Nein. Ist sie angespannt? Nein - die Lage ist katastrophal!
Es wird spätestens ab November Einschränkungen geben - ob dann die Privatwohnungen kalt bleiben, um den Industriebetrieb am Leben zu halten, oder werden die Angestellten nach Hause geschickt, das muss die Bundesregierung entscheiden.

Die Lage ist kritisch wie noch nie - die Presse versucht leider mit Füllständen die Bevölkerung in die Irre zu leiten, statt ihnen die Tatsachen zu nennen. Wie so oft in der letzten Zeit ist lediglich der Bundeskanzler relativ ehrlich - und ausgerechnet er muss medial Unmengen Kritik einstecken...

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05.09.2022, chrm

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